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Wie ich rechtgeleitet wurde, seite 2
Eine erfolgreiche Reise
In Ägypten
Mein Aufenthalt in Tripolis, der Hauptstadt Libyens, war nur so lang wie ich benötigte, um ein Visum von der ägyptischen Botschaft zu erhalten. Ich traf mich dort mit ein paar Freunden, die mir in dieser Sache behilflich waren – möge Allah sie dafür belohnen. Das Taxi, das mich in drei Tagen und Nächten nach Ägypten bringen sollte, teilte ich mir mit vier in Libyen beschäftigten ägyptischen Arbeitern, die sich auf dem Weg in ihre Heimat befanden. Während der Fahrt unterhielt ich mich mit ihnen und las für sie den Qur'an, wofür sie mich mochten und jeder von ihnen mich einlud, in Ägypten sein Gast zu sein. Ich wählte einen von ihnen wegen seiner Bescheidenheit und Frömmigkeit aus. Sein Name war Ahmad, und er beehrte mich mit äußerster Gastfreundschaft. Ich verweilte zwanzig Tage in Kairo, während denen ich den Sänger Farid al-Atrash in seiner Wohnung am Nil besuchte. Ich war begeistert von ihm, hatte ich doch in ägyptischen Magazinen von seiner Bescheidenheit gelesen, doch leider hielt mein Glück nicht länger als zwanzig Minuten an, da er in Begriff war, zum Flughafen zu fahren, um von dort in den Libanon zu fliegen.
Ich besuchte auch Scheich Abdulbasit Muhammad Abdussamad, den berühmten Qur'an-Rezitator, dessen Stimme mir sehr gefiel. Ich blieb drei Tage bei ihm, während denen ich mit seinen Verwandten und Bekannten über viele Themen diskutierte. Sie bewunderten meinen Enthusiasmus, meine Offenheit und mein breites Allgemeinwissen, denn wenn sie über Kunst sprachen, sang ich, und wenn sie über Weltentsagung und Sufismus sprachen, erzählte ich ihnen, dass ich sowohl zum Tijani- als auch zum Medani-Orden gehörte. Wenn sie über den Westen sprachen, erzählte ich ihnen von Paris, London, Belgien, den Niederlanden, Italien und Spanien, die ich in den Sommerferien bereist hatte. Und wenn sie über die Pilgerfahrt sprachen, berichtete ich ihnen, dass ich bereits gepilgert war und mich auf dem Weg zur kleinen Wallfahrt befinde. Ich erzählte ihnen dann von Orten, die nicht einmal diejenigen kannten, die bereits sieben mal gepilgert waren, wie beispielsweise die Höhlen Hira und Thaur und die Stätte Ismaels. Und wenn sie über Wissenschaften und Technologien sprachen, nannte ich ihnen Werte und ihre wissenschaftlichen Bezeichnungen, und wenn sie über Politik sprachen, verblüffte ich sie mit meinen Ansichten, indem ich hinzufügte: “Allah segne al-Nasir Salahaddin al-Ayyubi, der sich geschworen hatte, niemals zu lächeln. Und wenn einige seiner engsten Freunde ihn deswegen kritisierten, indem sie sagten: ‚Allahs Gesandter war häufig lächelnd gesehen worden”, erwiderte er ihnen: ‚Wie könnt ihr von mir verlangen, dass ich lächle, solange die al-Aqsa-Moschee von Allahs Feinden besetzt ist? Nein, bei Gott, ich werde nicht lächeln, bis ich sie befreie oder vorher sterbe!‘ "
Auch einige Scheichs der al-Azhar waren bei diesen Sitzungen anwesend. Ihnen gefiel, was ich neben kräftigen Argumenten an Überlieferungen (Ahadith) und Qur'an-Versen auswendig wusste, und sie fragten mich, an welcher Universität ich studiert hätte. Ich antwortete stolz, dass ich an der al-Zaituna-Universität studiert hätte, welche vor der al-Azhar gegründet worden war, und fügte hinzu, dass die Fatimiden, welche die al-Azhar gründeten, in der Stadt al-Mehdiya in Tunesien aufgebrochen waren.
Ich lernte viele angesehene Scheichs der al-Azhar-Universität kennen, die mir einige Bücher schenkten. Eines Tages hielt ich mich gerade im Büro eines Verantwortlichen für die Angelegenheiten der al-Azhar-Universität auf, als ein Mitglied des ägyptischen Revolutionären Befehlskomitees eintraf und ihn einlud, an einer Versammlung für Muslime und koptische Christen im größten ägyptischen Eisenbahnunternehmen in Kairo teilzunehmen. Die Versammlung sollte eine Protestaktion gegen Sabotageakte nach dem Juni-Krieg darstellen. Das Mitglied des Revolutionären Befehlskomitees bestand darauf, dass ich mit ihm gehe. Ich fand mich letztendlich in der Prominentenreihe sitzend zwischen dem Gelehrten von al-Azhar und Pater Shenuda. Sie baten mich, vor den Anwesenden eine Rede zu halten, was mir ziemlich leicht fiel, da ich durch meine Vorträge in Moscheen und kulturellen Ausschüssen in Tunesien schon reichlich Erfahrung mitbrachte.
Doch was ich eigentlich mit all dem sagen will, was ich in diesem Kapitel zu Wort gebracht habe, ist, dass ich begann, mich groß zu fühlen und tatsächlich glaubte, ein Alim, ein Gelehrter geworden zu sein. Wieso auch nicht? Schließlich bestätigten mir dies die Gelehrten von al-Azhar, und nicht selten sagten sie zu mir: "Dein Platz ist in al-Azhar". Aber was mich noch stolzer machte, war, dass man mir gewährte, die Hinterlassenschaften des Gesandten Allahs (Allah segne ihn und schenke ihm Heil) zu sehen.
Ein Verantwortlicher der al-Hussein-Moschee in Kairo führte mich in einen Raum, von dem er behauptete, nur er könne ihn öffnen. Er verriegelte die Tür hinter uns, öffnete eine Truhe und nahm das Hemd des Heiligen Propheten heraus. Ich küsste es, dann zeigte er mir noch einige andere Relikte des Gesandten. Als wir hinausgingen, weinte ich bewegt durch diese rührende Geste und vor allem, weil der Verantwortliche keinerlei Gegenleistung von mir dafür erwartete. Er weigerte sich sogar, etwas von mir anzunehmen, und erst als ich energisch darauf bestand, nahm er eine geringe Summe von mir an und gratulierte mir, weil ich – wie er sagte – zu jenen gehörte, die vom heiligen Propheten geehrt wurden.
Möglicherweise hinterließ dieses Ereignis seine Spuren in mir, denn sogleich begann ich, ausgiebig darüber nachzudenken, was die Wahhabiten über den Gesandten sagen, nämlich dass er gestorben sei wie jeder andere Sterbliche.
Ich war von der Richtigkeit dieser Idee nicht überzeugt und überlegte mir, wie es sei kann, dass ein Märtyrer, der im Kampf in Gottes Namen fällt, an der Seite seines Herrn weiterlebt, aber der Meister der Ersten und Letzten tot sein soll. Die Gefühle dieser Art wurden immer deutlicher und stärker, was ich meinen Kontakten mit den Sufis zu verdanken hatte, welche an das volle Handlungsbewusstsein ihrer Heiligen und Scheichs glauben und behaupten, Gott selbst hätte sie dazu befähigt, weil sie Ihm gehorcht hatten und akzeptierten, was Er ihnen gab. Spricht Er doch Selbst: "Mein Diener! Gehorche Mir, und du wirst so sein wie Ich. Du befielst den Dingen zu sein, und sie werden sein."
Der Kampf in meinem Bewusstsein begann, auf mich zu wirken. Ich beendete meinen Aufenthalt in Ägypten, nachdem ich in den verbleibenden Tagen zahlreiche Moscheen aufsuchte. Ich betete in den Moscheen von Malik, Abu Hanifa, al-Shafi’i, Ahmad Ibn Hanbal, dann in der Moschee von Sayyida Zaynab und von Hussein sowie in dem Bethaus des Tijani-Ordens. Ich habe dazu viele Anekdoten zu erzählen aber ziehe es vor, mich kurz zu fassen.
Eine Begegnung an Bord eines Schiffes
Ich fuhr nach Alexandria an genau dem Tag, für den ich mir einen Platz auf der ägyptischen Fähre nach Beirut reserviert hatte. Körperlich und seelisch erschöpft ließ ich mich auf mein Bett nieder. Ich schlief eine Weile und erwachte – das Schiff war wohl schon vor zwei oder drei Stunden ausgelaufen – durch die Stimme meines Nachbarn, der sagte: "Der Bruder scheint müde zu sein." Ich antwortete bejahend und erklärte ihm, dass die Reise von Kairo nach Alexandria mich müde gemacht habe und dass ich gestern nicht ausreichend geschlafen hatte, weil ich mich beeilte, pünktlich zu sein. Durch seinen Dialekt wusste ich, dass er kein Ägypter war. Meine Neugier veranlasste mich wie immer, mich ihm vorzustellen, um dann zu erfahren, wer er sei. Ich erfuhr somit, dass er ein irakischer Dozent von der Universität Bagdad mit Namen Mun’im war. Er war nach Kairo gereist, um in al-Azhar seine Doktorarbeit vorzustellen.
Wir begannen, uns über Ägypten zu unterhalten und über die arabischen und islamischen Länder, und sprachen über die Niederlage der Araber und den Triumph der Juden und so weiter. Die Themen wechselten sich ab, und einmal sagte ich, dass der Grund für die Niederlage der Araber und Muslime ihre Unterteilung in viele kleine Staaten, Gruppen und Glaubensrichtungen sei, sodass ihre Feinde sich durch ihre große Anzahl nicht irritieren lassen.
Wir redeten viel über Ägypten und die Ägypter und waren uns über die Gründe der Niederlage einig. Ich fügte hinzu, dass ich gegen diese Unterteilungen sei, welche von den Kolonialmächten unterstützt wurden, damit sie bei unserer Besetzung und Erniedrigung leichtes Spiel hatten, so dass wir heute noch zwischen Malikiten und Hanafiten unterscheiden. Dann erzählte ich ihm von einem traurigen Ereignis, das ich erlebte, nachdem ich in der Abu-Hanifa-Moschee in Kairo das Nachmittagsgebet mit der Gemeinde verrichtet hatte. Der Mann, der neben mir stand, wandte sich zu mir und sagte zornig:
"Warum legst du deine Hände während des Gebets nicht übereinander?"
Ich antwortete ihm freundlich und respektvoll, dass wir Malikiten es vorzögen, die Hände während des Betens neben dem Körper ruhen zu lassen. Sogleich fuhr er mich an:
“Geh zur Malik-Moschee und bete dort!” Ich verließ die Moschee enttäuscht und verärgert über dieses Benehmen und wunderte mich darüber sehr. Da sagte der Iraker lächelnd zu mir, dass er Schi'it sei.
Ich war verwirrt durch diese Nachricht und sagte bedachtlos zu ihm: "Wenn ich gewusst hätte, dass Sie Schi'it sind, hätte ich nicht mit Ihnen gesprochen!"
Er fragte nach dem Grund. Ich sagte:
"Weil ihr keine Muslime seid und Ali Ibn Abi Talib anbetet! Die Gemäßigten unter euch glauben zwar an Gott aber nicht an Seinen Propheten Muhammad – Allah segne ihn und schenke ihm Heil – und beschuldigen den Engel Gabriel, seinen Auftrag nicht erfüllt und die Botschaft Muhammad anstatt Ali überbracht zu haben!"
Ich fuhr fort mit solcher Art von Anschuldigungen, während mein Gegenüber hin und wieder lächelte oder staunte. Als ich aufhörte zu sprechen, fragte er mich:
"Sie sind Lehrer und unterrichten Schüler, richtig?"
Ich antwortete mit Ja.
Er sagte: "Wenn dies die Ansicht der Lehrer ist, dann können wir die normalen Leute für nichts verantwortlich machen."
Ich fragte: "Was meinen Sie damit?"
Er sagte: "Entschuldigen Sie, aber woher haben Sie diese falschen Anschuldigungen?"
Ich sagte: "Aus historischen Büchern und der Rest ist allgemein bekannt."
Er sagte: "Lassen wir mal das allgemein Bekannte außer Acht. Welche Geschichtsbücher haben Sie denn gelesen?"
Ich begann, einige Bücher wie Fajr al-Islam, Duha al-Islam und Zuhr al-Islam von Ahmad Amin und andere Bücher aufzuzählen.
Er fragte: “Und wann war Ahmad Amin eine Autorität bei den Schi'iten?” Dann fügte er hinzu: “Sowohl Gerechtigkeit als auch Objektivität erfordern eine sorgfältige Überprüfung der Sachlage und Abwägung der originalen Schriften zu den Glaubensinhalten."
Ich erwiderte: "Warum sollte ich eine Angelegenheit überprüfen, die bei allen Leute bekannt ist?"
Er sagte: “Ahmad Amin selbst besuchte den Irak, und ich befand mich unter den Delegierten, die ihn in al-Najaf trafen. Als wir ihn zu seinen Schriften über die Schi'iten zur Rechenschaft zogen, bat er um Verzeihung und sagte: ‚Ich weiß gar nichts über euch und hatte auch nie zuvor Kontakt zu Schi'iten. Das ist das erste Mal, dass ich Schi'iten treffe.’ Wir sagten zu ihm, dass seine Entschuldigung schlimmer sei als sein Fehler, denn wie konnte er solche hässlichen Dinge über uns schreiben, ohne etwas über uns zu wissen?
Bruder, wenn wir Juden oder Christen nach dem Heiligen Qur'an richten wollten, würden sie es nicht akzeptieren, obwohl der Qur'an unser stärkstes Argument ist. Die Argumente sind aber noch stärker, wenn wir ihnen ihre Fehler in ihren eigenen authentischen Büchern aufzeigen. Das wäre dann in Übereinstimmung mit der Redensart: ‚Einer von ihnen legte gegen sie Zeugnis ab.‘"
Seine Aussage beeindruckte mich sehr. Ich spürte, wie ich mich von einem bitteren Kritiker zu einem interessierten Zuhörer wandelte, da ich in seinen Worten starke Argumente und klare Logik fand. Also musste ich mich etwas mäßigen und seinen Worten zuhören. Ich sagte zu ihm:
"Sie gehören demnach zu jenen, die an die Gesandtschaft unseres Propheten Muhammad glauben?"
Er antwortete: “Allah segne und erhalte ihn und seine Nachkommen! Alle Schi'iten glauben dies wie ich, und du, mein Bruder, hättest dich lieber selbst davon überzeugt, damit du nichts Schlechtes über deine schi'itischen Brüder denken brauchst, weil ‚manche Gedanken Sünde sind‘". Dann fügte er hinzu: "Wenn du wirklich die Wahrheit kennenlernen und mit eigenen Augen sehen möchtest, lade ich dich ein, den Irak zu besuchen, um dich dort mit schi'itischen Gelehrten und der Allgemeinheit zu treffen. So wirst du den Lügen jener, die uns hassen, auf die Schliche kommen."
Ich sagte: "Es war schon immer mein Wunsch, eines Tages den Irak zu besuchen, um die berühmten islamischen Relikte zu besichtigen, welche die Abbasiden, allen voran Harun al-Rashid, hinterlassen haben. Doch erstens sind meine finanziellen Mittel beschränkt, da ich gerade genug dabei habe, um mir die kleine Wallfahrt leisten zu können, und zweitens gestattet mir mein Reisepass nicht die Einreise in den Irak."
Er erwiderte: "Erstens: Als ich dir sagte, dass ich dich in den Irak einlade, meinte ich, dass ich für alle Kosten deiner Reise von Beirut nach Bagdad und zurück aufkomme und dass du während deines Aufenthalts im Irak als Gast in meinem Haus wohnen wirst. Zweitens: Was den Pass angeht, mit dem du nicht in den Irak einreisen kannst, so überlassen wir es Gott, zu entscheiden, ob du uns besuchen wirst. Und wenn ja, dann geht das sogar ohne Reisepass. Nach unserer Ankunft in Beirut müssen wir jedoch zunächst versuchen, ein Visum für dich zu bekommen."
Ich freute mich unbeschreiblich über dieses Angebot und versprach meinem Freund, ihm meine Entscheidung am nächsten Morgen mitzuteilen, so Gott, Der Barmherzige, will.
Ich ging aus meinem Schlafraum hinauf auf das Deck, um frische Luft zu schnappen. Ich verlor mich in Gedanken, während mein Blick über das Meer glitt, das den Horizont ausfüllte. Ich pries meinen Herrn dafür, dass Er das Universum erschuf, und dankte Ihm, dass Er mich an diesen Ort brachte. Ich bat Ihn, Den Größten und Allmächtigen, mich vor allem Bösen zu beschützen und vor jeglichen Fehlern und Irrtümern zu bewahren.
Während ich so nachdachte, sah sich vor meinem inneren Auge einen Film ablaufen, der die Ereignisse, die ich erlebt hatte, und die glücklichen Momente, die ich seit meiner Kindheit genießen durfte, wiederholte. Ich träumte von einer besseren Zukunft und spürte, dass Allah und Sein Gesandter mich mit einer besonderen Fürsorge umgaben. Ich schaute wehmütig nach Ägypten herüber, dessen Ufer noch von Zeit zu Zeit am Horizont sichtbar wurde, jenes Land, in dem ich das Hemd des Gesandten Allahs (s.) geküsst hatte, was im Grunde genommen meine schönste Erinnerung dieser Art aus Ägypten darstellte.
Dann erinnerte ich mich an die Worte des Schi'iten, die mich so erfreut hatten, da ich mir endlich einen Kindheitstraum erfüllen würde, nämlich den Irak zu besuchen. Den Palast von al-Raschid und Ma’mun, der das Dar al-Hikma (Haus der Weisheit) gründete, in welchem viele Studenten aus dem Westen die verschiedenen Wissenschaften studierten, als sich die islamische Zivilisation auf ihrem Höhepunkt befand.
Der Irak ist daneben auch das Land jener erhabenen Persönlichkeit, des unvergesslichen Scheichs Sidi Abdulqadir al-Gilani, der auf der ganzen Welt bekannt ist und dessen mystischer Orden in sämtlichen Dörfern vertreten ist. Ein Mensch, dessen Umsichtigkeit alle Grenzen überschritt. Dies empfand ich ebenfalls als Gottes Fürsorge, die mich diesen Traum verwirklichen lassen sollte.
Ich versank abermals in meinem Ozean aus Phantasien und Hoffnungen, bis mich die Lautsprecherdurchsage aufschreckte, die alle Reisenden zum Abendessen in der Kantine aufrief. Also machte ich mich zum erwähnten Ort auf, doch fand ihn überfüllt mit Leuten, die sich drängelten und schrien, nur um vor den anderen an die Reihe zu kommen.
Plötzlich zog der Schi'it mich an meiner Kleidung zur Seite und sagte zu mir: "Komm, mein Bruder, quäle dich nicht damit. Wir werden später in aller Ruhe zusammen essen, und sowieso habe ich schon überall nach dir gesucht." Dann fragte er mich, ob ich schon gebetet hätte. Ich antwortete, dass ich noch nicht gebetet hätte, und er sagte: "Wenn das so ist, dann komm und lass uns beten. Danach kommen wir zurück, um zu essen, wenn das Gedränge und Geschrei der anderen vorüber ist."
Ich fand seinen Vorschlag gut und begleitete ihn an einen ruhigen Ort, wo wir die rituelle Gebetswaschung vornahmen und ihn bat, das Gebet als Imam zu leiten. Das tat ich jedoch nur, um zu testen, wie er betet, und dann etwas später mein Gebet heimlich nachzuholen.
Sobald er begann, den Pflichtteil des Abendgebets zu verrichten, wobei er ausgiebig Qur'an-Verse und Bittgebete rezitierte, änderte ich meine Meinung. Ich kam mir vor, als befände ich mich in Gegenwart eines der verehrten Gefährten des Propheten, über deren Frömmigkeit und Gottesfurcht ich gelesen hatte. Als er mit dem Gebet endete, rezitierte er lange Bittgebete, die ich in meinem Land oder anderen noch nie zuvor gehört hatte, und fühlte mich jedes Mal erleichtert, wenn ich hörte, wie er Muhammad (s.) und seine Nachkommen segnete und lobte wie es sich gehört.
Nach dem Gebet bemerkte ich Tränen in seinen Augen und hörte, dass er Gott bat, mir die Augen zu öffnen und mich den rechten Weg sehen zu lassen.
Wir gingen in die Kantine, wo es allmählich ruhiger wurde. Mein Freund setzte sich nicht, bevor ich mich gesetzt und er uns zwei Teller zu Essen gebracht hatte. Dann vertauschte er die beiden Teller, weil ich weniger Fleisch hatte als er, und fing an, sich um mich zu kümmern, als wäre ich sein Gast. Er erzählte mir Überlieferungen bezüglich Essen, Trinken und Tischmanieren, die ich vorher nie gehört hatte.
Sein gutes Benehmen gefiel mir. Er leitete das Nachtgebet und rezitierte lange Bittgebete, die mich letztendlich zum Weinen brachten. Ich bat den erhabenen Gott, meine Meinung über meinen Gefährten zu ändern, weil "einige Gedanken Sünde sein könnten". Aber wer weiß?
Ich schlief und träumte dabei vom Irak und von Tausend und einer Nacht und wachte auf, als er mich zum Morgengebet rief. Nach dem Morgengebet setzten wir uns und redeten über Allahs Segen über die Muslime. Danach legten wir uns wieder schlafen, und als ich aufwachte, sah ich ihn auf seinem Bett sitzend, einen Rosenkranz in der Hand halten, mit welchem er Allahs Namen lobpries. Dadurch fühlte ich mich noch erleichterter und bat meinen Herrn um Vergebung.
Wir aßen gerade in der Kantine zu Mittag, als wir durch die Lautsprecher hörten, dass das Schiff bald im Libanon anlegen würde, und dass wir in zwei Stunden im Hafen von Beirut einlaufen würde, wenn Gott will. Er fragte mich, ob ich ausreichend nachgedacht und eine Entscheidung gefällt hätte. Ich antwortete ihm, dass wenn Allah, der Allmächtige, uns erleichtere, ein Visum zu bekommen, ich kein Hindernis mehr sähe, und dankte ihm für seine Einladung.
Wir kamen in Beirut an, wo wir eine Nacht blieben und dann nach Damaskus weiterreisten. Dort gingen wir sofort zur irakischen Botschaft, und ich erhielt das Visum so rasch wie ich es mir nie hätte träumen lassen. Als wir hinausgingen, gratulierte er mir und dankte Allah für Seine Hilfe.
Mein erster Besuch im Irak
Wir fuhren in einem großen Wagen der Internationalen al-Najaf-Gesellschaft von Damaskus nach Bagdad. Als wir in Bagdad ankamen, waren es dort 40°C. Wir begaben uns sofort zu Mun’ims Haus im Viertel Jamila. Ich betrat das klimatisierte Haus und ruhte mich etwas aus, dann brachte er mir ein langes Hemd, das sie “Dishdasha" nennen. Er brachte noch Obst und andere Nahrungsmittel, als seine Familie eintraf.
Sie empfingen mich mit allem Anstand und Respekt, und sein Vater umarmte mich, als hätten wir uns schon vorher gekannt, wohingegen seine Mutter mit einem schwarzen Mantel bekleidet in der Tür stand und mich willkommen hieß. Mein Freund entschuldigte sich im Namen seiner Mutter dafür, dass sie mir nicht die Hand geben konnte, da es verboten sei. Ich staunte darüber sehr und dachte mir:
"Diese Leute, die wir als Abtrünnige bezeichnen, scheinen die Gesetze unserer Religion mehr einzuhalten als wir." Während den Tagen unserer gemeinsamen Reise hatte ich bereits das gute Benehmen und die Großzügigkeit meines Freundes kennen gelernt. Auch schätzte ich an ihm seine Bescheidenheit und Frömmigkeit, wie ich sie vorher bei niemandem gekannt hatte. Ich fühlte mich keineswegs fremd sondern wie in meinem eigenen Zuhause.
Als es Nacht wurde, gingen wir auf das Dach des Hauses, wo unsere Schlafplätze vorbereitet wurden. Ich blieb noch lange Zeit wach, grübelnd, ob ich träumte oder wachte. War es wirklich Realität, dass ich mich in Bagdad nahe Sidi Abdulqadir al-Gilani befand?
Mein Freund lachte und fragte mich, was die Tunesier von Abdulqadir al-Gilani hielten. Ich begann, ihm von den Tugenden zu berichten, die man sich von ihm erzählt, und von den Orten, die nach ihm benannt wurden. Ich erzählte ihm, dass er die "Mitte des Kreises" sei und der "Meister der Heiligen", so wie Gottes Gesandter Muhammad (s.) der Meister der Propheten war. Seine Füße stünden auf dem Nacken aller Heiligen, und er sei derjenige gewesen, der sagte:
"Die Menschen umgehen das Haus (die Kaaba) sieben Mal. Ich werde mit meinen Zelten um das Haus ziehen."
Ich versuchte, ihn zu überzeugen, das Scheich Abdulqadir al-Gilani einigen seiner Anhänger und Getreuen erscheine, um ihre Krankheiten zu heilen und ihren Kummer zu trösten. Ich hatte wohl den Einfluss der Wahhabiten vergessen, die mich gelehrt hatten, dass dies alles Polytheismus sei. Und als ich bemerkte, dass ich meinen Freund nicht begeistern konnte, versuchte ich, mich selbst davon zu überzeugen, dass das, was ich gesagt hatte, nicht wahr sei und fragte ihn nach seiner Meinung.
Er antwortete lachend: "Schlafe diese Nacht und ruhe dich aus von der anstrengenden Reise. Morgen werden wir Scheich Abdulqadir al-Gilani besuchen, wenn Gott will.”
Ich freute mich sehr darüber und konnte den nächsten Morgen kaum erwarten. Aber die Müdigkeit kam über mich, so dass ich tief schlief, bis die Sonne auf mich schien. Ich hatte das Gebet verpasst, und Mun’im sagte mir, er habe mehrere Male erfolglos versucht, mich zu wecken, und mich dann weiter schlafen gelassen.
Quelle: http://www.islam