Welche Rolle wird Ali,
Welche Rolle wird Ali, dem Schwager des Propheten Mohammeds, eingeräumt?
Der Heilige (Hazreti) Ali ist zusammen mit dem Propheten Mohammed die zentrale Person im Alevitentum.
Ehe die Bedeutung und seine Funktion erläutert wird, zunächst ein kurzer Einblick in seine Biographie:
Sein eigentlicher Name ist Ali Ibn Ebu-Talip. Ibn bedeutet „Sohn des", also Sohn des Ebu-Talip. Ali hingegen bedeutet „der Hohe", „der Erhabene". Muslime aller Strömungen fügen seinem Namen das Kürzel Hz. für „Hazreti" (Heiliger) hinzu.
Nach alevitischer Überlieferung ist er am 21. März 598 n. Chr. vermutlich in Mekka in der Kaaba auf die Welt gekommen. Er war der Vetter des Propheten Mohammed und mit dessen Tochter Fatma (Fatima) verheiratet. Nachdem die Eltern und Großeltern Mohammeds verstorben waren, kam Mohammed unter die Obhut von Alis Vater.
Neben der familiären Bindung zwischen Ali und Mohammed war Ali zudem - nach schiitischer und alevitischer Überlieferung - treuester Gefährte Mohammeds. Nach Hatice (Chadidscha), Mohammeds erster Gemahlin, nahm Ali als Jugendlicher den Islam als seine Religion an.
Nach dem Ableben Mohammeds und dem danach entfachten Streit um das Kalifat wurde Ali über mehrere Jahre in die Opposition gedrängt (s. Antwort 15).
Erst nach den Kalifatsperioden von Ebu Bekir, Ömer und Osman übernahm Ali um 556 n. Chr. das Kalifat und somit die Führung der islamischen Gemeinschaft (umma). Jedoch stieß er auf heftige Ablehnung, so dass seine Widersacher - geführt durch die aristokratische Familie der Umayyaden und deren Oberhaupt Muawiya - in Damaskus ein Gegenkalifat gründeten.
Auch wenn Ali die militärischen Auseinandersetzungen für sich entscheiden konnte, wurde er während eines Gebets von Ibn Mülcem, ein Gehilfe Muawiyas, mit einem vergifteten Dolch erstochen.
Die bisherigen Schilderungen beschrieben die politische Person Ali Ibn Ebu-Talips. Für Aleviten ist jedoch der Heilige Ali als Gelehrter und Träger des göttlichen Wissens wesentlich zentraler.
Die besondere Verehrung, die Ali zuteil wird, ist durch eine Aussprache Mohammeds (Hadith) anschaulich zu erklären: „Wenn ich die Stadt der Weisheit wäre, wäre Ali ihr Eingang".
Die Weisheit, die im Alevitentum durch Mohammed personifiziert wird, kann nur durch Ali, durch dessen Weg erlangt werden. Es wurde erwähnt, dass das Ziel jedes Aleviten ist, ein vollkommener, weiser Mensch (İnsan-i Kamil) zu werden. Nach alevitischer Denkweise ist die Weisheit des Propheten und des Korans nur durch Ali richtig zu verstehen.
Ein Beispiel aus dem Alltag soll diesen komplexen Gedanken veranschaulichen:
Die Informationen, die man Büchern, dem Rundfunk und dem Internet entnehmen kann, können nur durch diese genannten Medien an die Menschen vermittelt werden.
Ohne ein passendes Medium, ohne einen Mittler bleibt die Vermittlung von Informationen für das Volk aus. Hiernach wären Mohammed aber auch der Koran die Information und Ali das Medium, der die Informationen vermittelt. Genau in dieser Beziehung kann man die Bedeutung von Ali für das Alevitentum verstehen.
Ali machte das göttliche Wissen Mohammeds für die Menschen verständlich und vermittelte es ihnen.
Aufgrund dieser engen Verbundenheit von Weisheit und Mittler der Weisheit werden Mohammed und Ali stets gemeinsam erwähnt. Auch der Schöpfungsbericht der Seelen von Mohammed und Ali (s. Antwort 19) verdeutlicht ihre Unzertrennbarkeit im Alevitentum.
Ferner wird häufig in der alevitischen Dichterkunst die Metapher der Medaille und den zwei miteinander verbundenen Seiten für Hz. Mohammed und Hz. Ali verwendet. Auch wird Ali als Mond und Mohammed als Sonne in Gedichten von alevitischen Gelehrten bezeichnet. Höchstwahrscheinlich wird hier auf den Koranvers in Sure[1] Schems (die Sonne) Vers 1-2 verwiesen, in der laut der Exegese[2] die Sonne als Mohammed und der Mond als Ali dargestellt wird. Bekanntlich leuchtet der Mond nicht aus eigener Energie, sondern weil er die Sonnenstrahlen reflektiert. Ali ist also ebenfalls die Reflektion des Wissens des Propheten.
Aus soziologischer Sicht ist Hz. Ali ebenfalls der Prototyp des edelmütigen, tapferen und gerechten Ritters. „Es gibt keinen tapfereren Helden (Ritter) als Ali und kein besseres Schwert als das Zülfikar (La feta illa Ali, la seyf illa Zulfikâr)" ist der Ausspruch, der Imam Ali die Stellung des ritterlichen Ideals (gazilik) in vollkommener Weise zuschreibt.
Hz. Ali wird auch der Löwe Gottes (Haydar) genannt. Die Doppeldeutigkeit schließt sowohl auf die eben erwähnten ritterlichen Tugenden Alis als auch auf den Kampf mit dem eigenen Ego. Der Löwe Gottes überwindet und besiegt den so genannten Drachen der niederen Triebe (nefs).
Das Glaubensbekenntnis der Aleviten hängt dem allgemeinen islamischen Glaubensbekenntnis einen dritten, an Ali gerichteten, Teil an: „Es gibt keine Gottheit außer Gott, Mohammed ist der Gesandte Gottes und Ali ist der Statthalter Gottes" (La ilahe illallah, Muhammed er-Resulullah, ve Aliyyen Veliyullah).
Ali wird auch im Sunnitentum verehrt, jedoch nicht in dem Umfang wie im Aleviten- und im Schiitentum. Lediglich die politische Person Ali Ibn Ebu-Talips ist im Sunnitentum bedeutend.
[1] Sure = Abschnitt des Korans
[2] Exegese = Interpretation von heiligen Schriften
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